Heuerstorf – Ende einer Ortschaft

Die deutsche Sektion von ECOVAST hat sich sehr stark für den Erhalt von Heuersdorf eingesetzt. Leider unter Erfolg. Die „Neue Züricher Zeitung“ berichtete in der Ausgabe vom 22. August 2009 ausführlich über das Ende von Heuersdorf. Nachstehend geben wir einen Ausschnitt des Artikels wider. Der vollständige Beitrag und zusätzliche Bilder finden sich unter http://www.nzz.ch/nachrichten/startseite/requiem_fuer_heuersdorf_1.3386007.html

 

Requiem für Heuersdorf

Raubbau und Enteignung – das Ende einer Ortschaft

 

Wer dieser Tage nach Heuersdorf fährt, um letzte Blicke zu werfen, muss sein Herz wappnen. Nicht allein, dass so viele Gebäude, Höfe und Stallungen, historisches Fachwerk und weniger ansehnliche Zeugnisse aus DDR-Zeiten, bereits niedergerissen und abgefahren sind. Auch das bisschen, was noch da ist, versetzt dem Ankommenden einen Schlag. Haustüren, die sperrangelweit offen stehen, als sei eine Horde Plünderer hindurchgezogen, leere Fensterhöhlen und solche, in denen noch müde Gardinen hinter den geborstenen Scheiben hängen. Kahl aufragende Dachstühle, die schon ohne Schindeln sind, obgleich der Abriss des Hauses noch nicht begonnen hat. Herausgerissene Dämmungen, demolierte Leitungen, Zaunpfähle ohne Zaun, Schutthaufen, zersplitterte Bretter. Und überall wuchert das Unkraut, schiesst kniehoch am Strassenrand, bildet Büschel in Fugen und Ritzen.

Hier wohnt niemand mehr. Der letzte Heuersdorfer dürfte im Juli ausgezogen sein; die Umsiedlung der Dorfbewohner läuft indessen schon wesentlich länger. Die Mibrag hat sie für den Verlust von Haus und Grund entschädigt, veranschlagt wurde dafür der Zeitwert der Immobilien. Da konnte es leicht sein, dass die Ausgleichszahlung für einen Drei-Seiten-Hof am neuen Wohnort nur noch für ein Einfamilienhäuschen reichte. Viele Alte, sagt einer, der früher im Ortschaftsrat von Heuersdorf sass, hätten die Zwangsumsiedlung, den Verlust von Heimat und Nachbarschaft, nicht verkraftet, manche nicht einmal mehr ihr neues Haus richtig kennengelernt. «Emotional eingegangen» seien die alten Herrschaften, sagt unser Gesprächspartner. Zur signifikant erhöhten Sterberate von Heuersdorfern kurz vor oder bald nach ihrer Umsiedlung gebe es aufschlussreiche Statistiken bei den Behörden. Daran rühre aber niemand.

Während wir disputieren, tritt ein weiterer ehemaliger Dorfbewohner hinzu, begleitet von einem Wünschelrutengänger. Die beiden kommen von einem Streifzug. Ihre Rute besteht aus Metall und reagiert dem Vernehmen nach wohl auch auf solches. Wasseradern haben die zwei gewiss nicht gesucht. Was denn dann, zurückgelassene Wertgegenstände? Die Andeutungen bleiben kryptisch, sie wollen nicht richtig mit der Sprache heraus. Heuersdorf in den Tagen seiner Agonie ist wie ein Knochen, dessen letzte Fleischfetzen abgenagt werden, bevor die Bagger das Mark zermalmen. Eigentlich gehört alles, was hier noch herumsteht, der Mibrag. Dennoch taucht immer wieder einmal ein Privatfahrzeug mit dem typischen, in der DDR «Klaufix» genannten Anhänger auf, wird beladen und verschwindet, taucht erneut auf. Meist sind es Alteigentümer, die ihr einstiges Hab und Gut noch einmal sondieren. Doch Einbrüche und reguläre Diebstähle in den verlassenen Häusern hat es auch schon gegeben. Die Mibrag scheint es nicht übermässig zu stören. Warum auch? Je desolater der Ort aussieht, desto plausibler wirkt auf Betrachter sein vollständiger Abriss.

Ein Erbe Hitlers

Anders als die exportierte Emmauskirche ist das zweite Gotteshaus, die Taborkirche, dem Untergang geweiht. Die Toten vom Friedhof hat man umgebettet, die Gräber aufgelöst. Von der Landstrasse aus ist ein weisses Zelt zu sehen, das haben die Archäologen aufgestellt, die den mit Ausschachtungen durchsetzten Kirchhof untersuchen. Fern am Horizont die unentwegt dampfenden Türme des Kraftwerkes. Dazwischen schieben sich die Abhänge des Tagebaus als dunkle Schraffur. Sehr nah schon ist die Grube dem Dorf gerückt. Paragraf 79 des deutschen Bergbaurechts nennt die Bedingungen, welche die Enteignung von Ortsansässigen zugunsten der Kohleförderung ermöglichen: «Wenn sie dem Wohle der Allgemeinheit dient, insbesondere der Versorgung des Marktes mit Rohstoffen, der Erhaltung der Arbeitsplätze im Bergbau, dem Bestand oder der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur.» Datiert ist das Gesetz auf 1980. Tatsächlich aber stammt es in Geist und Buchstaben aus den 1930er Jahren. Die Nazis haben es als Kriegsertüchtigungsgesetz geschaffen.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 22. August 2009, gekürzt.

PDF Datei: Ich war ein Dorf