Vortrag A. Fowler

Angus Fowler M.A.(Oxford)  (Marburg/Lahn, Berlin, Newcastle upon Tyne)

 Stand: 16.04.2012, 23:18

Kurze Anmerkungen zum territorialen bzw. geschichtlichem Verständnis bzw. zur Orientierung in der Region um Achberg bei Lindau

Als ich anfing, diese Tagung mit Exkursion zu organisieren, glaubte ich, dass Achberg bei Lindau zu Bayern gehören müsste. Von Frau Irmer, hier im Humboldt-Haus, wurde ich jedoch eines Besseren belehrt: Achberg gehört heute zu Baden-Württemberg. Daraufhin habe ich mich ein wenig mit der Territorialgeschichte diese Region befasst. Noch um 1800 waren die Herrschaftszentren der Württemberger in Stuttgart bzw. Ludwigsburg und der Wittelsbacher in München bzw. Mannheim weit weg. Erst mit den Pariser Mediationsakte von 1802, dann der Akte des Reichsdeputations-hauptschlusses in Regensburg 1803 bzw. nach dem Brunner und Pressburger Friedensverträgen Ende  1805 und dem Ende des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der Errichtung des Rheinbundes 1806 gerieten Württemberg und Bayern mit großen territorialen Erbwerbungen erst überhaupt in diesen Raum und ersetzten praktisch die Habsburger, die  zuvor diesen Raum beherrscht hatten.

Um 15 vor Christus eroberten die Römer diese Region einschließlich des heutigen Vorarlbergs von keltischen Stämmen und errichtete die Provinz Raetia, im frühen 4. Jh. n. Chr. unter Diokletian zweigeteilt, der nördliche Teil mit dieser Region wurde Raetia Secunda mit Verwaltungssitz im heutigen Augsburg. Wichtige römische Stadt in der unmittelbaren Region und Hafen für die römische Bodenseeflotte war Brigantium (Bregenz). Schon seit etwa 233 Angriffe des germanischen Stammes der Alemannen ausgesetzt, verlor die römische Verwaltung im Laufe des 5. Jhs (spätestens seit 488) vollständig die Kontrolle der Region an die Alemannen, die selbst durch den fränkischen König Clovis 496 geschlagen und unterjocht wurden. Nachdem die Alemannen den Schutz des ostgotischen Königs Theoderich genießen konnten, wurde der südliche Teil ihres Herrschaftsgebietes in heutigen Baden-Württemberg und in der Schweiz 536 auch von den Franken erobert. Später wurde die Region Teil des großen Herzogtums Schwaben, das praktisch bis ins späte 13. Jahrhundert bestand. Um 610 wirkten in der Region die iroschottischen Missionare Columban und Gallus. Kirchliches Zentrum war Konstanz mit Bistum, angrenzend an die Bistümer Augsburg und Chur ,  Untergliederungen im ersten vorhandenen Steuerregister vom Bistum Konstanz 1275 waren: das Archidiakonat Allgäu: Dekanat einschl. den Bregenzer Gebiet mit Sitz zuerst offensichtlich in Egebrechtshoven =heute Gebrazhofen, Ortsteil von Leutkirch und damals  Sitz des Reichs-Landvogts in Schwaben, danach bei der alten vom Kloster St. Gallen gegründeten Pfarrei /Sigmarszell und erst offensichtlich im Laufe des 14. Jhs schließlich in Lindau: hier die Pfarreien: Siberatsweiler und Esseratsweiler. Bedeutende Klöster insbesondere im 9. und 10. Jh. waren auf der Reichenau und in St. Gallen, das umfangreichen Besitz hier in der Region hatte, z.B. Wangen usw. Bedeutendste führende Adelsfamilien in diesem Raum, dem Argengau um den Argental, waren die im 9. Jh. für die Herrschaft in Rätien stark konkurrierenden Hunfride/ Burchardinger , im 10 Jh. Herzöge von Schwaben ( verwandt mit den Konradiner und Salier, möglicherweise Vorfahren der Hohenzollern in Schwaben und der Wettiner und der Grafen von Goseck in Sachsen),  die Udalrichinger, insbesondere in und um Bregenz  begütert, durch Heirat verwandt mit Karl dem Großen, Vorfahren der Grafen von Bregenz und der späteren Grafen von Montfort, und schließlich die ebenfalls mit den Karolingern durch Heirat verwandten Welfen. In Lindau gründete der Hunfride/Burchardinger, Graf Adalbert von Rätien, um 817/822 ein adliges Kanonissenstift, das bis zur Säkularisierung 1802/03 bestand. Das Gebiet war während der Investiturstreit im späten 11. Jh. heftig umkämpft und der Marktort des Stiftes Lindau wurde aus Sicherheitsgründen um 1079 vom Festland auf die Insel verlegt. Zur größeren Kontrolle und als Zentren für Herrschaft und Verwaltung entstanden zahlreiche Burgen insbesondere seit dem 11. Jh. 1083 bzw. 1090 wurde von Petershausen bei Konstanz aus das Benediktinerkloster Mehrerau bei Bregenz durch den Grafen Ulrich X. von Bregenz  gegründet.   Die Welfen gründeten bei ihrem Hauptsitz Altdorf nahe Ravensburg (um 1050 ihre neue Burg) 935 ein Nonnenstift, das dann aber 1056 durch ein Benediktinerkloster, ihrem berühmten Hauskloster Weingarten, ersetzt wurde und großen Besitz in der Region hatte.

Nach dem Tod von Welf VII ohne Erben 1167 vererbte sein Vater Welf VI. (gest. 1191) seinen süddeutschen Besitz schließlich 1178 an seinen Neffen, den  Staufer Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Barbarossas Großvater Friedrich war bereits durch seinen künftigen Schwiegervater König Heinrich IV. 1079 zum Herzog von Schwaben erhoben. Die Staufer hatten bis zu ihrem Untergang nach 1250 auf vor allem auf Grund des welfischen Besitzes eine führende Stellung in der Region und förderten nach Kräften die Gründung und Entwicklung von Städten und Klöstern, die vielfach Reichsstädten und Reichsklöster wurden und bis 1803 bestanden, z.B. unmittelbar an die Herrschaft Achberg angrenzend, die spätestens seit 1217 bestehende Stadt Wangen, die ihre Selbstständigkeit vom Kloster St.Gallen erlang und 1286 unter Rudolf von Habsburg Reichstadt wurde. Als Territorialherrscher waren die Staufer jedoch nicht allein: Wesentliche Teile des Erbbesitzes der Udalrichinger in dieser Region Bodensee/ Oberschwaben und Vorarlberg  kamen über die Grafen von Bregenz,  die Grafen von Pfullendorf und die Pfalzgrafen von Tübingen dann um 1200 an die jüngere Linie der Pfalzgrafen, die Grafen von Montfort, die im 14. Jh. große Gebiete der Region auch in Vorarlberg beherrschten. Vor allem seit der Wahl des vor allem in der Nordschweiz  (die Habsburg in Aargau und – durch Erbschaft – die Kyburg  bei Winterthur) angesiedelten Grafen Rudolf von Habsburg 1273 zum deutschen König bauten sein Nachkommen ihren Besitz in Österreich, im südlichen Deutschland und im Elsass allmählich aus.  Seit der Mitte des 14. Jhs haben die Habsburger den Besitz der Grafen von Montfort in Vorarlberg nach und nach erwerben können und hatten dann im 16. Jh. das ganze Vorarlberg praktisch unter ihrer Herrschaft. Der Name Vorarlberg stammt nämlich aus der Sicht der von der Schweiz kommenden Habsburger, nämlich vor dem Arlberg Pass nach Österreich. Schließlich konnten die Habsburger 1780 den restlichen Besitz der Montforter  – Grafschaft und Stadt Tettnang, vom letzten Grafen Anton IV. (gest.1787), wegen prunkvollen Schlossbau  hoch verschuldet, abkaufen. Die süddeutschen Territorien der Habsburger waren Teil der Reichslandvogtei Schwaben und mit Besitz in Südwestdeutschland um Freiburg/Breisgau bildeten bis 1805 das sogenannte Vorderösterreich.

Wie die Karte von Süddeutschland am dem Ende des alten Reiches zeigt, war diese Region  – auch nach dem Übergang der Grafschaft Tettnang an die Habsburger – immer noch von einer Vielzahl von kleinen Territorien geprägt, mehrere Reichsstädte, Klöster und adelige Herrschaften. Bedeutend im Spätmittelalter war der Schwäbische Städtebund, zum ersten Mal 1331 errichtet (1534 aufgelöst), als Schutz gegen Fürsten und Adligen um den Landfrieden besser zu bewahren. In Süddeutschland war der Aufstand der Bauern 1525 besonders groß. Die Reformation fand starken Eingang in die Reichsstädte, auch in Lindau. Seit  der Gegenreformation und besonders nach habsburgischen Erfolge im 30jährigen Krieg und Rekatholisierung kamen Protestanten zunehmend unter Druck. Süddeutschland und diese Region erlitten große Verluste an Menschen, erhebliche Schäden und Zerstörungen, im späteren Laufe des 30jährigen Krieges, zunehmend in den 1630er Jahre, durch kaiserliche, französische und schwedische Truppen. Noch 1646/47 zogen schwedische und französische Truppen plündernd durchs Land und nahmen Bregenz ein. Der Wiederaufbau dauerte lange. Heute prägt insbesondere die erst danach entstandene, reiche barocke Kloster-, Schloss- und Stadtarchitektur die Kulturlandschaft.

In Folge der Pariser Mediationsakte 1802 und der Hauptschlussakte der Reichsdeputation in Regensburg 1803 kamen unter Druck Napoleons als Entschädigung für linksrheinische Gebiete mehrere der Reichsstädte der Region an das Kurfürstentum, seit 1805 Königreich Bayern,  das platte Land von habsburgischen Vorderösterreich in seinem östlichen Teil mit der Reichslandvogtei Schwaben 1805 an das ebenfalls neugeschaffene Königreich Württemberg, der westliche Teil mit Freiburg, schon praktisch seit 1796 französisch, schließlich ebenfalls Ende in  Folge der Brunner und Prager Friedensverträgen 1805 an das Großherzogtum Baden. Bereits 1795 bzw. Schon 1798 wurde das ehrwürdige Reichskloster St. Gallen durch die junge helvetische  Republik St Gallen säkularisiert. Stift und Reichsstadt Lindau kamen 1802 an den Graf/Fürst von Bretzenheim, unehelichen Sohn des Kurfürsten Karl Theodors von Bayern und der Pfalz,  dessen jüngere Schwester Friederike Äbtissin gewesen war, als ein kleiner Ersatz für seine seit 1795  verlorene linksrheinische Gebiete.  1803/04 gab Bretzenheim Lindau dann weiter vertraglich an Österreich gegen Entschädigung durch Besitz in Böhmen und Ungarn und löste dadurch fast einen Krieg aus, denn  Österreich sollte keinen Zugang mehr zum Bodensee erhalten. Nach dem für Österreich ungünstigen Brunner und Prager Friedensverträgen Ende 1805 kam Lindau mit dem Vorarlberg und Tirol dann an Bayern und blieb bis heute bayerischer Besitz. Dadurch erhielt Bayern Zugang zum Bodensee. Die heutige Grenze zwischen den Ländern Bayern und (Baden-)Württemberg entstand bereits 1810 durch Gebietsaustausch zwischen den Königreichen  Bayern und Württemberg. 1815 musste Bayern den Vorarlberg und Tirol an Österreich zurückgeben. 1861 wurde Vorarlberg ein eigenständiger österreichischer Land aber noch mit Bindungen an Innsbruck/Tirol, von wo aus der Vorarlberg seit dem 16. verwaltet wurde. 1919 nach Abschaffung der k. und k. Monarchie wurde Vorarlberg  selbständiger Staat mit eigener Landesregierung. Bemühungen um einen Anschluss an die Schweiz wurden aber einerseits von der Schweiz, andererseits von den westlichen Siegermächten verhindert.

Die Herrschaft Achberg, bestehend aus mehreren Dörfer mit den Pfarrdörfern Siberatsweiler und dem heutigen Hauptort Esseratsweiler, wo wir uns heute befinden,  wird zuerst 1194 genannt und von lokalen Adligen, den Herren von Achberg,  beherrscht, kam bereits um 1235 dann an die welfisch-staufischen Ministerialen von Waldburg-Tanne (Truchsessen von Waldburg), 1335-52 an die Herren von Molpertshaus, wurde 1352 österreichisches Lehen, 1366-1392 Besitz der  Familie Öder, von 1412 bis 1530 an die ebenfalls aus staufischen Ministerialen entstandenen  Herren von Königsegg, dann 1530 erbweise an die Herren von Sürgenstein/Syrgenstein. 1691 verkaufte der verschuldete Josef Franz Ferdinand von Syrgenstein  die Herrschaft an Franz Benedikt Freiherr von Baden, Landkomtur der Deutsch-Ordens-Ballei Schwaben-Elsass-Burgund in Altshausen (bei Ravensburg). Um 1700 ließ er das Schloss Achberg mit heutiger Gestalt, mit Rittersaal und Hauskapelle und reichem barockem Stuck ausbauen. Als der Deutsche Orden, dessen wichtigste Mittelpunkt in Deutschland um 1240 kurzzeitig ihre Niederlassung um die Kirche der Hl. Elisabeth in  Marburg war, in Folge des Pressburger Friedens 1805 säkularisiert wurde, kam Achberg Dezember 1805 an Bayern, 1806 aber infolge des Rheinbundvertrags nunmehr an das katholische Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen. Als in Folge der Revolutionen 1848/49 die Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen und -Hechingen  beide abdankten, fielen 1850 ihre Territorien mit Achberg an ihren entfernten protestantischen Verwandten, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Achberg blieb preußische Exklave bis 1945, umgeben von Württemberg und Bayern, war 1806-1854 eigenständiges Obervogteiamt, dann Teil des Oberamts Sigmaringen, seit 1925 Gemeinde des Kreises Sigmaringen. Nach 1945 mit weiten Teilen Süddeutschlands , Stadt und Kreis Lindau und mit dem Vorarlberg zur französischen Zone gehörig, kam Achberg mit Lindau dann 1949 zum neuen Bundesland Württemberg-Hohenzollern, dann  1952 an das vereinigte Bundesland Baden-Württemberg, Stadt und Kreis Lindau schließlich 1955 an Bayern zurück. Achberg wurde 1969 Gemeinde des Landkreises Wangen, 1973 des Landkreises Ravensburg und hat mit Amtzell eine Vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft mit der Stadt Wangen.